Konstanz: Imperia in schwarzem Gewand

Beim ersten Blick in die sozialen Medien heute Morgen verschlug es mir die Sprache. In der Gruppe „Du bist aus Konstanz, wenn …“ prangte ein Foto, das die Imperia, das neun Meter hohe Wahrzeichen der Stadt, in einem schwarzen Gewand zeigte. Ich war versucht, mir die Augen zu reiben. War das echt? Oder montiert? Ein Blick aus dem Fenster zeigte: Die Nebelkulisse im Bild wirkte authentisch. Die Imperia trug Schwarz, in Wirklichkeit, leibhaftig. Anders als in meinem Buch war allerdings auch ihr Gesicht verhüllt. Darunter ein schwarzes Banner. „Aus meinem Schoß gedeih‘ Europas neue Tyrannei“. Ominös, surreal und gruselig. Eben noch eine Szene in meiner Bodensee-Krimikomödie „Seeblick kostet extra“, also meinem Hirn entsprungen, und schon Wirklichkeit?  Nur falls das infrage stehen sollte: Ich bin unschuldig, aber so was von. Und ich hoffe, dass ich mit meiner Idee im Buch, durch die Verhüllung der Imperia etwas Spannung in meinen leichten Konstanz-Krimi zu bringen, nicht die Falschen inspiriert habe. Die heutige Nacht- und Nebelaktion diene Propagandazwecken, wie Südkurier Online wenig später berichtete. Dahinter stecke die ***. Ich möchte die Verursacher nicht nennen, denn das wäre Wasser auf ihre Mühlen. Je weniger sie genannt werden, umso mehr läuft die rechte Propaganda ins Leere. Man will nicht noch mehr Suchtreffer für sie erzeugen.  

Auszug aus “Seeblick kostet extra” Kapitel 13

” … Die Imperia, das neun Meter hohe Wahrzeichen aus Beton, trägt ebenfalls Schwarz. Die üppige Kurtisane wurde vom Halsansatz bis zum Knöchel in eine schwarze Robe gehüllt. So züchtig bedeckt war sie ihr ganzes Leben noch nicht. Sonst verbirgt ihr halb offenstehender Umhang den Busen nur ansatzweise. Selbstbewusst streckt sie ihn jedem Ankömmling entgegen. Der schwarze Talar, den man ihr nun übergeworfen hat, verlangt eigentlich nach der zugehörigen Kopfbedeckung. Doch ein Doktorhut hätte auf ihrem mehrstöckigen Kopfschmuck wohl keinen Halt gefunden. Auf ihren erhobenen Handflächen kauern zwei Männlein, zwei Gaukler, einer mit Königskrone, einer mit der Tiara des Papstes. Die beiden sind so nackt wie eh und je. Der Bildhauer hatte ihnen nur Kopfbedeckung und Schuhe zugestanden, der Verhüllungskünstler hat sie ausgespart. Im Kontrast zur schwarz Bekleideten wirken sie noch kümmerlicher als sonst. Angesichts der Temperaturen möchte man den hutzeligen Kleinen ein paar Wollpullis überstreifen. Als ich mich im Laufschritt der Statue nähere, die sich alle vier Minuten einmal um sich selbst dreht, mache ich im fahlen Morgenlicht eine Blutspur aus. Sie zieht sich von ihrer Stirn aus über eine Seite des Gesichts und entstellt das süffisante Lächeln. Nun, es soll aussehen wie Blut. Ich gehe davon aus, dass es rote Farbe ist. Es ist doch nur Farbe? Gespenstisch, wie die Szene phasenweise vom orangefarbenen Warnblinken des Leuchtfeuers erhellt wird, das nur wenige Meter entfernt auf dem Molenhaus thront. Ich will mir das Ganze aus nächster Nähe ansehen. Also weiter auf den Steg, der zu dem Häuschen führt, auf dessen Dach die Dame sich dreht. Auch hier stehen Menschen in Grüppchen zusammen. Kopf im Nacken diskutieren sie lebhaft die Freveltat. Im Gegensatz zu den Schaulustigen auf der Seestraße ist man hier allerdings davon überzeugt, dass die Aktion kaum von offizieller Seite veranlasst worden sein kann. Hier war ein Kletter- und Malkünstler am Werk. Das Blut respektive die Farbe scheint täuschend echt einem klaffenden Loch in der Stirn zu entspringen. Als hätte ein fieser Koloss der Imperia eine übergezogen. Kurz flattert mir das Bild eines Zyklopen durch den Kopf, der auf sie eindrischt, während sie ihn wüst beschimpft. Denn natürlich ist unsere Imperia keine, die sich schnell unterkriegen lässt oder um Gnade winselt. Dafür ist sie viel zu stolz. Wäre sie allerdings ein Mensch aus Fleisch und Blut, würde sie nicht mehr unter uns weilen. Das Wahrzeichen der Stadt Konstanz wurde ermordet! Wie konnte das klappen? So ohne Aufsehen zu erregen? Die Imperia wird nachts angestrahlt und ist in mindestens einem halben Dutzend Webcams zu sehen. Und wie in aller Welt ist der Verhüllungskünstler da hinaufgelangt? Kletternd? Mit einer Leiter? Mit einem Kran? Ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, eine überdimensionale Steinpuppe anzuziehen, wenn der Täter nicht besagter einäugige Riese ist, zwanzig Meter groß, der sich mal eben ins seichte Hafenwasser stellt, um der Imperia das Gewand überzustülpen. …”