Cosy-Krimi, humoristischer Krimi, Regionalkrimi, Bodensee-Krimi, Konstanz Krimi
Erschienen:
E-Book: 24.06.2017
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Paperback: 29.06.2017
IBSN 978-3-7448-4028-6
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Seeblick kostet extra: Eine Bodensee Krimikomödie
Ein humorvoller Krimi. Erfrischend spritzig, romantisch und absurd. Kopfkino und gute Laune aus und in Konstanz am Bodensee.
Wenn der Drahtzieher des letzten Mordes freikommt und wenig später der leitende Kripoermittler tot im Gartenhaus liegt, kann das kein Zufall sein. Ines Fox wittert die Chance, ihren persönlichen Moriarty endlich hinter Gitter zu bringen. Allerdings hat sie mit Irrungen in Liebesdingen und Chaoswellen zu kämpfen, die gegen Konstanz branden. Als die Imperia, das Wahrzeichen, schwarz verhüllt und erschlagen sowie Ines samt Einwohnerschaft verflucht wird, soll sie die Stadt verlassen. Doch Ines trotzt. Wie lange noch? Und zu welchem Preis?
Ihre außerkörperlichen Erfahrungen, im ersten Teil „Seezeichen 13“ hilfreich, haben Fehlzündungen. Ja, hier ist rein gar nichts ernst zu nehmen.
Der zweite Fall der Ines Fox, locker mit Freude am Wortwitz erzählt. Ein Krimi, der sich nicht immer anfühlt wie einer.
Die Folgen können unabhängig voneinander gelesen werden. Mehr Genuss verspreche ich Dir aber, wenn Du bei Seezeichen 13 beginnst.
Leserstimmen
Wer von einem Krimi hohe Plausibilität und die Anwendung strikter Logik erwartet, ist in „Seeblick kostet extra“ eher fehl am Platz. All jene allerdings, die mit einer Krimikomödie reichlich vergnügliche Unterhaltung verbinden, werden bei Ines Fox bestens bedient.
Ich sehe direkt die Schauplätze dieser fesselnden Geschichte vor mir, wenn Ines Fox liebestrunken oder investigativ durch die Stadt tourt.
Ines Fox, Dr. Frieder und Ihre Hunde, sind einfach wahnsinnig sympathisch, Konstanz und der See werden sofort lebendig.
Sie nehmen uns mit, auf ein völlig verrücktes Abenteuer in Konstanz, Lokalkolorit und viele Lacher inklusive.
Ich würde sagen: super Urlaubslektüre, Schokokekse bereit legen !
Leseprobe
Kapitel 1
„Nicht schuldig im Sinne der Anklage“, nuschelt der Richter und schiebt wiederholt seine Brille nach oben. Dabei zieht er ein Gesicht, als wäre ihm völlig unklar, was er da von sich gibt. Oder als wäre er nicht damit einverstanden?
Ein entsetzter Ruck geht durch das Publikum gepaart mit allerlei Lauten der Bestürzung. Mich trifft die Nachricht mit voller Wucht und setzt mich gleich mal außer Gefecht. Ich kann nicht mehr folgen, wieso, weshalb, warum das so sein soll und welchen bösen Paragrafen man die Schuld dafür in die Schuhe schiebt.
„Nein!“, kreische ich deutlich verzögert und springe auf. Das Getuschel im Saal verstummt. Alle Blicke richten sich auf mich. Ich schwanke wie bei leichtem Seegang und greife nach der Lehne vor mir. Etwas Verlässliches muss her! Wie bestellt legt sich eine Hand auf meinen Rücken. Sie bleibt, bis ich mich wieder neben Dr. Frieder auf die Bank sinken lasse. Rot bis in die Haarspitzen, war ja klar, aber das ist im Moment nebensächlich.
Das darf doch nicht wahr sein! Nach dem ersten Schock umklammert mich Fassungslosigkeit und droht mir die Luft abzuschnüren. Vor wenigen Minuten noch konnte ich kaum still sitzen. Nach Wochen im Gerichtssaal fieberte ich dem Urteil entgegen. Ich wollte den Drahtzieher der Ermordung meines Mitarbeiters Bernd Gerold endlich und für lange Zeit hinter Schloss und Riegel sehen. Jetzt möchte ich einfach der Schwerkraft nachgeben, loslassen, hinabgleiten und durch das alte Gemäuer fließen. Irgendwann käme ich in Neuseeland heraus, bei meinem Glück geradewegs unter einem Schaf während es … Wenigstens ist dort Frühling.
Sein Blick hat meinen gefunden. Das blasse Gesicht des 28-Jährigen verzieht sich zu einem Lächeln. Von allem haben diese Gesichtszüge irgendwie zu viel: zu viel Stirn, zu viel Lippen und eine zu lange Nase. In einer charakteristischen Bewegung streicht er das dunkle Haar nach hinten, das er mit deutlich zu viel Gel an den Schädel gekleistert trägt. Kurz spukt mir durch den Kopf, wie er wohl seinen exzessiven Pomadenkonsum in der Untersuchungshaft gesichert hat.
Ich würde sein Lächeln als charmant auslegen. Ich würde ihn seiner markanten Gesichtszüge und hohen Wangenknochen wegen sogar als gut aussehend einstufen, wüsste ich nicht, wer und was er ist. Roger Merian. Die schmalen Schultern im italienischen Maßanzug morsen ‚war wohl nichts‘. Soll das versöhnlich wirken? Dazu neigt er leicht den Kopf, was auch eher sympathisch rüberkommt. Wie ich das hasse!
Ganze fünf hochkarätige Anwälte hat er aufgefahren. Sie schütteln sich die Hände, klopfen sich auf die Schultern, begleiten ihren Sieg mit Gesten, die überall die gleichen sind. Aktenberge verschwinden in Koffern. Was keinen Platz findet, wird unter den Arm geklemmt.
Die Strafverteidiger haben ihre Hausaufgaben gemacht, das muss man ihnen lassen. Sie nahmen alles und jeden auseinander, mich eingeschlossen. Während der Verhandlung gab es Abende, an denen ich die zehntausend Puzzleteile meiner selbst wieder zusammensetzen musste. Dr. Frieders Hauptaufgabe bestand darin, mir meinen Bauplan zu zeigen. Er erinnerte mich, wer ich bin, und wer der Böse ist in diesem Spiel.
Spiel. Für Roger Merian ist alles ein Spiel. Je härter die Nuss, je höher das Risiko, desto größer der Kick. Das Lebenselixier dieses machthungrigen Schweizer Psychopathen: Unfreiwilligen Mitspielern kranke Spiele aufzwängen, die sie nur mit Müh und Not lösen können. Er setzt Menschen wie Schachfiguren, um seine Ziele zu erreichen.
Den Titel Psychopath verpasse ich ihm nicht leichtfertig. Tatsächlich erfüllt er die Kriterien der gebräuchlichen Checklisten. Aber ich bin hier natürlich nur Laie.
Als Roger Merian abgeführt wurde, war Schluss mit den Spielchen – dachte ich. Erstaunlich schnell wurde das Gerichtsverfahren begonnen und durchgezogen. Ganz im Interesse des mächtigen Angeklagten. Heute trifft es mich aus heiterem Himmel, dass die Anklage in allen Punkten abgeschmettert wurde. Habe ich es einfach nicht wahrhaben wollen?
„Was ist jetzt mit dem Tatbestand der Freiheitsberaubung?“, flüstere ich und neige mich schräg zu Dr. Frieder, ohne Roger Merian aus den Augen zu lassen. Die Freiheitsberaubung bezieht sich auf meine Person.
Als ich keine Antwort erhalte, schaue ich Dr. Frieder ins Gesicht. Mein sonst so relaxter Norddeutscher wirkt angespannt. Hinter die Sonnenbräune unter dem Blondschopf hat sich Blässe geschlichen.
„So‘n Schiet“, sagt er tonlos.
„Du meinst, er …“ Ich schlucke, wage kaum, es auszusprechen, gebe mir aber schließlich einen Ruck. „Kommt er frei?“
Dr. Frieder vollführt ein einzelnes, sehr langsames Nicken.
Ich schaue mich um. Mein Blick trifft den von Arthur von Leisfall, seit Kurzem Kriminaloberkommissar. Stocksteif thront er in tadellosem grauen Zwirn. Zuletzt die rechte Hand von Kriminalhauptkommissar Michael Schroff, der die Ermittlungen im Mordfall führte, könnte er dessen Nachfolger werden, wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf. Arthurs Pokerface zeigt keine Regung, es wäre auch das erste Mal. Wieso nur habe ich mir da Hoffnungen gemacht?
Auf der anderen Seite, zwischen ihren Journalistenkollegen, sehe ich Mama sitzen, wie aus dem Ei gepellt. Rot lackierte Fingernägel umklammern ein Notebook. Mama hält sich kerzengerade, wahrt die Fassung. Sie sieht mich an und presst die Lippen zusammen. Im Geiste höre ich sie sagen ‚Och, meine Kleine!‘
Mir wird schlecht. Nun, es ist ja naheliegend, dass er freikommt, wenn er nicht verurteilt wird, weil er für nicht schuldig befunden wird. Nicht, dass ich zu dumm oder naiv wäre, das zu verstehen. Mein kopfscheuer Verstand braucht nur heute und hier eine gesonderte Belehrung: Ja, es ist auch heute und hier, wie es immer ist. Keine Ausnahme, sorry Ines. Nicht schuldig bedeutet, dass er freikommt.
Kapitel 2
„Schokokuchen?“ Dr. Frieder hält mir wie einem Kleinkind eine Gabel vor den Mund, zu deren Ladung ich selten Nein sage. Lieblingsdroge.
Übrigens, mein Name ist Ines Fox. Ich wohne in Konstanz, der größten Kleinstadt am Bodensee. Beruflich bin ich Jungunternehmerin und Inhaberin von Foxinet Webdesigns. Privat leide ich an krankhafter Neugier und Einmischeritis. Gelegentlich, öfter als mir lieb ist, beweise ich Mut zu meinem eigenen Chaosstil. Rein äußerlich meine ich Ähnlichkeit mit einem Leuchtturm zu haben: rote Locken mit weißer Haut auf erhöhter Ebene.
Trotzig schüttle ich den Kopf, gehe ganz auf in der aktuell zugewiesenen Kleinkindrolle.
Dr. Frieder lächelt mich mit geneigtem Kopf an. „Das man ein ernstes Zeichen, ne. Kein Schokokuchen?“ Schwer norddeutsch kommt das daher, von Herrn Doktor.
Der hat natürlich auch einen Vornamen, einen schönen sogar. Marc heißt er. Manche finden es befremdlich, dass ich den Vornamen meines Freundes kaum benutze. Aber Dr. Frieder sagt sich so nett und Marc könnte ja jeder heißen. Vielleicht liegt es auch mit daran, dass ich ihn vor etwa zwei Monaten in seinem beruflichen Umfeld als Herrn Dr. Frieder kennengelernt habe. Das war in der Pathologie des Konstanzer Klinikums in Gegenwart von Bernd Gerolds Leichnam. Der lag auf dem Seziertisch und ich wenig später ohnmächtig auf dem Boden daneben.
Heute sitzen wir auf der Terrasse hinter dem Mehrfamilienhaus, in dessen Erdgeschoss ich wohne. Objektiv betrachtet hat meine Zweizimmerwohnung wohl eine Sanierung nötig. Ich aber stehe auf ihre Altbaufabelhaftigkeit: Baujahr Anfang des 20. Jahrhunderts, hohe Decken, das Originalparkett knarzt. Und ich weiß zu schätzen, dass ich von hier aus in wenigen Schritten am See bin, genauer an der Seestraße, der Seepromenade, dem gediegenen Bereich des Konstanzer Seeufers.
Die Seestraße ist mit Parkbänken unter gestutzten Platanen bestückt, weitgehend autofrei und führt von der alten Rheinbrücke bis zum Yachthafen. Im ersten Abschnitt säumen alt ehrwürdige Residenzen ihren Verlauf, dicht an dicht, jede für sich ein Schmuckstück. Im Anschluss dann Radweg neben Fußgängerweg in Überbreite. Hier promenierte früher die Bürgerschaft im Sonntagsstaat. Heute ist man da praktischer veranlagt und sparsamer im Stoffverbrauch. Meine Zeitgenossen benutzen das gemauerte Ufer der Flaniermeile auch, um sich nach dem Schwimmen zu sonnen, lassen die Seele baumeln oder feiern Partys.
Auf der Seestraße gibt es auch sonst immer was zu sehen. Der See zeigt zu jeder Tages- und Jahreszeit andere Kombinationen von Licht und Farbe. Mal kräuselt er sich tiefblau und glitzert in der Sonne, dass es in den Augen schmerzt. Mal fließt die Wasseroberfläche seidig in den Horizont, silbergrau mit Spuren von Hellblau und Rosa. Mal springen vom Wind getriebene Wellen auf, hellgrün im Uferbereich, fast karibisch über den Sandbänken und in sattem Grün weiter draußen. Jeder Augenblick ist einzigartig, war so und wird so nie wieder sein. Zugegeben, das ist natürlich überall so. Aber der Bodensee zeigt es – unübersehbar.
Schräg gegenüber der Seestraße liegt das Inselhotel, strahlt weiß. Wenig weiter ist das Konzilgebäude an seinem Walmdach gut auszumachen. Davor die Imperia, das Wahrzeichen der Stadt. Schiffe der weißen Bodenseeflotte ziehen vorbei. Ihr Signal bei Hafenein- und ausfahrt weht herüber und verscheucht Tretboote und Wasservögel. Und es gibt jede Menge Wasservögel. Bald kommen Tausende gefiederte Wintergäste hinzu, erfüllen die große Bucht mit fremdländischem Geschnatter und verleihen ihr ein internationales Flair.
Aber dieses Jahr erweckt der Bodenseesommer den Anschein, als wolle er ewig währen. Ich liebe solche Septembertage. Von der Wärme her könnte man auf einen Tag im Juli schließen, nur steht die Sonne tiefer.
Ich schaue über mein überschaubares Reich aus Sitzplatz und Gärtchen, nein, nicht mit Blick auf den See, sondern in den beschaulichen Hinterhof. Letzte Gänseblümchen blühen in den Plattenfugen sonnenwarmen Sandsteins. Auch sie genießen die Sonnenstrahlen, die sich an den umstehenden alten Eichen und Buchen vorbeimogeln.
Mein Hund Santo, ein blonder Wuschel in Größe eines Labradors, döst mit Dr. Frieders Dalmatinerdame Fila zu unseren Füßen. Die Braungefleckte liegt genau genommen auf Dr. Frieders nackten Füßen. Die Vierbeiner mussten die letzten Wochen viel zu oft warten, ohne dass sie mitdurften. Daher die Strategie: Zweibeiner unter Beobachtung halten und sich auf ihre merkwürdigen Füße legen.
„Nich ma ein für Papi?“, scherzt Dr. Frieder, lässt die Schokoladung unbeirrt auf meinen Mund zufliegen und produziert Propellergeräusche eines alten Doppeldeckers, der nur auf elf seiner zwölf Töpfe läuft. Ob ich will oder nicht, ich muss lächeln und sperre brav das Mäulchen auf.
„Gut, ne?“, fragt er.
Ich nicke wenig enthusiastisch. Seit Monaten versuche ich meinem Normalgewicht wieder zu begegnen, das mir das Ende der Beziehung mit David verjagt hat. Zehn Kilo rauf und sieben Kilo runter ist es her, umgerechnet etwa dreieinhalb Jahre. Darauf angesprochen, warum ich an den paar Kilos immer noch herummache, ist mir bewusst geworden, dass ich das Ursprungsgewicht mit Wiederherstellung gleichsetze. Tabula rasa. Oder im Technikjargon: Reset. Mit dem alten Gewicht bekomme ich auch mein altes Ich wieder zurück. Dann, so die Theorie, habe ich diese Lebensphase endgültig überwunden, die immerhin den größten Teil meines Erwachsenenlebens ausmacht.
Dr. Frieders liebenswerte Neigung, mir regelmäßig die Lieblingsdroge zu kredenzen, durchkreuzt meine Pläne allerdings. Andere Aktivitäten mit ihm fördern sie, was sich in etwa die Waage hält. Das führt zu verqueren Gedankengängen unsere Beziehung betreffend. Sie lauten: Ist der Freund weg, brauchst du entweder ganz schnell einen neuen, oder du musst aufhören Schokokuchen zu essen, oder du nimmst zu. Such‘s dir aus!
Höre ich mir eigentlich mal zu beim Gedankenwirrwarr? Als wären die Aussichten auf eine Trennung nicht schon schlimm genug. Nein, nein, eine Trennung steht ja zum Glück nicht an. Nur eine Fernbeziehung. Viel besser!
Drei Monate, hieß es, als wir uns kennenlernten, wollte Dr. Frieder noch in Konstanz bleiben, um die erste Phase der Ausbildung zum Rechtsmediziner in der Pathologie zu absolvieren. Da kam das überraschende Angebot, er könne vier Wochen früher nach Freiburg wechseln. So schnurrte unsere Zeit zusammen. Aus Ende Oktober wurde Ende September. Und Ende September ist jetzt.
Dr. Frieder fährt mir durch die roten Locken und umfasst meinen Nacken. Ganz langsam zieht er mein Gesicht an seines. Blaue Augen funkeln mir entgegen. „Dat löpt sich allens torecht“, flüstert er und küsst mich leidenschaftlich.
Danach muss ich ihn fragend anschauen. Vielleicht sollte ich mir doch endlich mal ein norddeutsches, respektive plattdeutsches Wörterbuch zulegen?
„Das wird schon“, übersetzt er.
Damit hat bei ihm heute deutlich mehr Text die Freiheit erlangt, als bei mir. Das gibt mir zu denken. An normalen Tagen, nicht Tagen wie diesem, dürfte ich dreimal so viele Wörter in die Welt setzen wie er. Dürfte – das erweckt den falschen Anschein. Ich vermute, er würde gelegentlich ein paar meiner Wörter unterbinden, so das denn zur Disposition stünde.
„Vielleicht sollte ich mit dir nach Freiburg gehen“, sage ich und sperre den Mund auf.
Wenn wir nun schon bei Schokokuchen angelangt sind, sollen doch seine aufmunternden Inhaltsstoffe zur Gänze wirken, schließlich habe ich es bitter nötig. Prompt kommt der nächste Schokobomber geflogen.
Ich beobachte mit Argusaugen, wie Dr. Frieder auf meinen Vorstoß reagiert.
„Mach!“
„Du hättest nichts dagegen?“
„Wieso, nee.“ Die Unbeschwertheit in Person.
„Da wäre ich sicherer vor Roger Merian als hier. Oder meinst du, ich muss mir keine Sorgen machen? Hat sich’s ausgespielt? Oder hat er Entzugserscheinungen und legt jetzt erst richtig los mit seinen kranken Spielchen? Obwohl man so frisch aus dem Knast gekrochen erst mal unbehelligt duschen und was ‚Währschaftes‘ essen will. Ein Herr Merian möchte unter Umständen den Coiffeur, den Gelisten oder Pomadeur sowie eine Dame zur Maniküre kommen lassen.“
Gut, die Anzahl Wörter ist wieder im Lot.
„Gelisten oder Pomadeur?“ Er grinst und versorgt mich mit einem weiteren Bissen Schokokuchen. Dann tippt er sich auf die Nasenspitze, die leere Gabel abgespreizt. „Was meint dein Bauch?“
Ich runzle die Stirn. Das Gerichtsurteil hat mein Kopf-Bauch-Gefüge in totaler Konfusion hinterlassen. Selbst nach längerem Nachdenken komme ich zu keinem befriedigenden Ergebnis und zeige das durch ausgiebiges Achselzucken.
Als ich aus Gewohnheit das Handy anmache, erschrecke ich, welch fortgeschrittene Uhrzeit mir da entgegen leuchtet. „Oh, ich muss los“, rufe ich, springe auf und alles mit, was bisher in der Sonne gedöst hat, na außer den Gänseblümchen.
„Kommt ihr mit?“ Die Frage bringt beide Hunde auf Touren, sie laufen aufgeregt hin und her. Schnell suche ich alle sieben Sachen zusammen, muss noch mal umkehren, um nach dem Schlüsselbund zu hangeln. Und dann geht’s los.
Auf der Straße verabschiedet Dr. Frieder sich mit einem seiner Wir-haben-alle-Zeit-der-Welt-Küsse. Mit den Händen tief in den Jeanstaschen schlendert er Richtung Klinikum davon, während ich mich mit den Hunden entgegengesetzt auf zur Seestraße mache.
Kurz überlege ich, ob ich überhaupt entspannt herumlaufen darf. Als Roger Merian weggesperrt war, lebte es sich dahin gehend so unkompliziert. Aber ich werde jetzt kaum mein Leben einstellen, nur, weil Roger Merian hinter dem nächsten Busch hervorspringen könnte. Vielleicht gilt es, sich explizit für die Normalität zu entscheiden. Wenn ich zulasse, dass die Bedrohung meine Freiheit einschränkt, hat er doch schon gewonnen, irgendwie …
Auf der Seestraße krame ich nach der Sonnenbrille und lasse genüsslich den Blick über den glitzernden Konstanzer Trichter schweifen. Zwei Schwäne setzen zur Landung an. Immer wieder erstaunlich, dass diese massigen Körper überhaupt fliegen können.
Die Besucher, die Konstanz in der Sommersaison bevölkern und teilweise überrennen, geben See und Stadt ihren Einwohnern zurück. Die Atmosphäre ist leicht verschlafen, Nachsaison eben.
Zwei Jungs und ein Mädel sitzen mit aufgeklappten Büchern und Notebooks auf den unteren Stufen einer Treppe direkt am Wasser und diskutieren.
Ein paar Meter weiter zieht ein Stand-up-Paddler in Shorts und T-Shirt vorbei. Ein paar Blesshühner suchen laut trötend das Weite. Vor lauter Schreck verliert der Wassersportler das Gleichgewicht und sein Board kippelt gefährlich. Ich bleibe stehen. Den Platscher will man ja nicht verpassen. Er fängt sich gerade noch so. Ich lächle ihm zu, wische mir theatralisch mit dem Handrücken über die Stirn und schüttle den imaginären Schweiß ab. Er grinst und nickt.
Santo und Fila laufen voraus, warten allerdings artig am unteren Ende der Treppe, die zur alten Rheinbrücke hinaufführt. Es ist Zeit, Fila anzuleinen, bevor ihr einfällt, ihrem Hobby zu frönen, Züge über die Brücke zu jagen.
Seite an Seite überqueren Fahrbahn, Schienen und Fußgängerweg den Seerhein und wir drei mit.
Die bunten Flaggen auf der Rheinbrücke flattern verhalten in der Brise. Sie wirken etwas abgeschlafft. Haben sie sich doch den ganzen Sommer lang mächtig ins Zeug gelegt, um auf Touristenfotos die Farbtupfer beizusteuern, die den postkartenwürdigen Blick zur digitalen Kunst befördern. Die Farben sind ausgeblichen, die frei wehenden Kanten ausgefranst, Nachsaisonlook im Shabby Chic. Bald werden sie abgehängt, im Frühjahr gibt es Neue. Was passiert wohl mit diesen hier? Altflaggensack?
In der Mitte der Brücke bleibe ich einen Moment stehen und genieße den Blick auf den See. Ich seufze. Sollen die letzten Wochen alle für die Katz gewesen sein? Ich will mich nicht daran gewöhnen, dass Roger Merian ungeschoren davonkommt. Irgendwie muss er doch noch zu kriegen sein.
Kapitel 3
Das Foxinet Büro liegt in der Altstadt gegenüber dem Bahnhof. Auch heute bietet sich wieder ein umwerfender Blick aus dem Fenster über Bahnhofsgebäude, Gleise, Biergärten und Hafen hinweg auf den See. Einzelne Boote lüften ihre Segel. Wind ist da nicht, also ist das auch kein Segeln, was die da machen.
Links ist die Seestraße zu sehen, rechts das Schweizer Ufer. Wenn das östliche Ende wie heute im Dunst verschwindet, male ich mir bisweilen aus, der Bodensee sei ein Fjord. Hinter dem Horizont läge dann nicht Österreich, sondern das offene Meer. Der Zugang zur ganzen Welt. Die Vorstellung verschafft mir die Illusion von Freiheit. Sie lässt mich das liebenswert beschauliche, zuweilen aber beengende Kleinstadtleben leichter ertragen.
Wir bei Foxinet machen in Webdesign, will heißen wir beraten Unternehmen, planen und realisieren ihre Internetauftritte und verschaffen ihnen so Öffentlichkeit. Wir sind neun. Da sind Evi, Lisa, Mehmet, Jan, Luca, Julia, Philipp und ich. Bernds Stelle hat inzwischen Charles eingenommen.
Erst zwei Monate sind seit Bernds Tod vergangen? Kaum zu glauben.
Es fühlt sich an, als wäre es ein anderes Leben, ein anderes Ich, das daran beteiligt war. Die Erfahrungen haben mich verändert und werfen noch immer ihre Schatten. Ich wünschte, ich könnte den Sommer noch einmal von vorne beginnen, ohne Mord und Cybercrime diesmal.
In einem ganz normalen, unbeschwerten Bodenseesommer würden Dr. Frieder, die Hunde und ich in den Tag hinein leben, abwechselnd arbeiten, schwimmen und am See in der Sonne liegen. Mittagessen in der Eisdiele, abends wird gegrillt, sonntags gibt es Schokokuchen. Also gut, nicht nur sonntags. Das Hauptaugenmerk läge nicht auf den Ermittlungen und dem anschließenden Gerichtsverfahren, im Mittelpunkt stünde ein reguläres und geregeltes Arbeitsleben, das nur eine unausgeglichene Work-Life-Balance zu beklagen hätte.
Aber der Sommer ist so gut wie um und Zurückspulen geht nicht. Also wäre ich schon dankbar, wenn mir wieder eine gewisse Leichtigkeit gelingen würde. Wie vorher eben. Ich wage zu bezweifeln, dass die Freilassung von Roger Merian da förderlich ist.
Keinen Zweifel gibt es allerdings daran, dass Bernd von Franz Krüger erstochen wurde. Dieser hatte in den 1970ern mit Rogers Großvater René Merian den Consultingkonzern Krüger & Merian gegründet, der heute weltweit 4 000 Mitarbeiter zählt. Der Enkel ist nur nebenberuflich Psychopath. Hauptberuflich sitzt er im Vorstand von Krüger & Merian.
Kein unüblicher Posten für so einen Menschen heißt es. Es gibt Schätzungen, wonach etwa sechs Prozent der Führungspositionen mit psychopathischen Persönlichkeiten besetzt sind, während ihr Anteil in der Gesamtbevölkerung nur ein bis zwei Prozent beträgt. Das muss man sich mal vorstellen: Von hundert Menschen, die man so kennt, sind ein bis zwei oder gar sechs Psychopathen. Und man hat in der Regel keinen Schimmer.
Machthungrig, gefühlskalt und frei von Angst, Risiko- und Schuldgefühlen lässt sich’s mit dieser Persönlichkeitsstörung unbeschwert über Leichen gehen und trotzdem charmant und redegewandt wirken. Weil sie so gut im Lügen, Betrügen und in der Manipulation ihrer Mitmenschen sind, bekommt oft niemand etwas mit. Sie sind unauffällig. Da kann man sich gut ausmalen, dass hochgesteckte Ziele bereits in jungen Jahren erreicht werden. Ziele, für die andere Jahrzehnte benötigen. Bei Roger Merian gilt das umso mehr, da an seiner Startlinie ‚Konzernerbe‘ steht.
Für Roger Merian war die Vorstandsetage die beste Ausgangsposition, um den labilen Franz Krüger nach allen Regeln der Kunst zu manipulieren – über Jahre. Eine seiner Machenschaften war es, Franz Krügers Tochter Yata zu verunglimpfen. Sie erzählte mir, ihr Vater wäre dem Intrigenspiel gefolgt. Er wollte den Konzern nach seinem Ableben in guten Händen wissen, mithin nicht in denen seiner vermeintlich schizophrenen Tochter. Also änderte er sein Testament zu Yatas Nachteil und zugunsten von, dreimal darfst du raten, Roger Merian.
Yata ist übrigens meine neue Nachbarin, inzwischen Freundin und meiner Ansicht nach genauso schizophren wie ich. Bevor Missverständnisse entstehen: Ich bin nicht schizophren.
Yata ist quasi mit Roger Merian aufgewachsen. Ihr ist es zu verdanken, dass ich überhaupt erfahren habe, dass er ein Psychopath ist. Ob ich das allein bemerkt hätte? Keine Ahnung. Wenn, dann vermutlich zu spät. Das Tückische ist ja eben gerade, dass diese Menschen so normal wirken.
Yatas Vater brachte zuerst ihren Freund Bernd um und dann sich selbst. Da es einen ordnungsgemäßen Abschiedsbrief gab, in dem er seine Tat gestand, war für die Offiziellen der Fall schnell klar und geschlossen. Ich aber weiß: Roger Merian war der eigentlich Verantwortliche, der Drahtzieher hinter Bernds Ermordung. Dahin gehend war er zwar mir gegenüber so gut wie geständig, vor Gericht konnte es ihm jedoch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Letztendlich war alles ein Spiel für ihn, aus dem er als Gewinner hervorging. Im Ergebnis erhielt er mehr Aktienanteile am Konzern und übernahm den frei gewordenen Posten des Vorstandsvorsitzenden. Vor allem aber ahndete er mit der Todesstrafe, dass Bernd es gewagt hatte, mit seinem Lieblingsspielzeug Yata zu spielen. Roger Merian hatte kranke Besitzansprüche entwickelt und konnte Yatas Beziehung mit Bernd nicht ertragen. Und das alles war erst vor zwei Monaten? Kaum zu glauben.
Nach seinem Tod ließen wir Bernds Schreibtisch unangetastet im Büro der Webentwicklung stehen. Daneben entstand ein neuer Arbeitsplatz für Charles. Jetzt sitzen Philipp und Charles in einem Büro mit einem Geistertisch, was gespenstisch klingt, weil es auch irgendwie gespenstisch ist. Aber so war es einstimmig beschlossen worden.
Es ist nicht einfach, wird jemand gewaltsam aus einem Team gerissen. Wir haben noch immer daran zu knabbern, jeder auf seine Weise. Wenn eine Bernd-Erinnerungsstätte uns dabei hilft, ist das in Ordnung, ob sie nun gespenstisch ist oder nicht.
Als ich den Fuß über die Schwelle zum Büro setze, merke ich, hier herrscht dicke Luft. Evi hat ihre hohe Stimme im Einsatz, die sich unangenehm überschlägt und die nur herausdarf, wenn sie auf 180 ist und sich Luft machen muss. Das kommt selten vor.
„Hi Chief.“ Charles steht in den Türrahmen zur Teeküche gelehnt. Sie zuckt lässig mit einer Achsel, lässt ihre Vorderzähne mit dem Zungenpiercing spielen und fährt ungerührt fort, einen Teebeutel zu baden. Charles heißt eigentlich Charlotte Ortburg, der ich endlich mal sagen muss, dass sie dieses ‚Chief‘ lassen soll. Das kommt davon, wenn man meint, für den internationalen Gebrauch auch ‚Chief Executive Officer‘ auf die Visitenkarte schreiben zu müssen.
Als Evi mich sieht, stoppt sie abrupt, presst die Lippen zusammen, macht auf dem Absatz kehrt und stürmt davon. Mein Verdacht der letzten Tage bestätigt sich: Die Eingewöhnungsphase von Charles ist, gelinde gesagt, teamseitig noch nicht ganz abgeschlossen. Bevor ich etwas sagen kann, klingelt mein Handy.
„Ein Toter“, sagt Dr. Frieder.
„Bitte was?“, muss ich erst mal fragen.
„Eine Leiche.“
Habe ich doch richtig gehört. „Wer, äh, warum …“ Ich sollte wirklich langsam lernen, in überraschenden Situationen meine Sätze zu beenden. Was macht denn das für einen Eindruck? Unbeteiligte Beobachter könnten denken, ich sei etwas verpeilt oder gar trottelig. Das kratzt böse am Renommee.
„Schroff.“
„Nein!“, hauche ich und taste blindlings hinter mich. Irgendein Sitzmöbel muss her. Ich finde keines und lasse mich auf den Boden gleiten. Schon besser.
„Wie, ich meine, wo und …“ Mist, das nächste Satzwrack.
„Unklar. Zu Hause. Liegt jetzt hier. War nicht vor Ort, Dr. Meschle war.“
Dr. Meschle ist Dr. Frieders Vorgesetzter und Leiter der Pathologie im Klinikum Konstanz.
„Bin gleich da“, sage ich, bevor ich auflege.
Als ich mich auf die Füße stelle, baumelt ein Schlüssel an schwarz lackierten Fingernägeln in meinem Gesichtsfeld.
„Brauchst du einen fahrbaren Untersatz, Chief?“, fragt Charles. Ihr Zungenpiercing verursacht ein leichtes Lispeln.
Wie kann man … nein, lassen wir das. Nein, lassen wir nicht! Wie kann man sich ein Metallteil in die Zunge jagen und sich damit einen Sprachfehler einhandeln? Vor allem, wenn man das merkt – und es ist definitiv nicht zu überhören – wie muss man drauf sein, das Piercing drin zu lassen?
Ich stutze kurz, nicht wegen des subjektiven Schmuckstücks, das fällt in die Rubrik ‚jedem Tierchen sein Pläsierchen‘. Nein, wegen des Angebots.
„Ich bin ewig nicht Motorrad gefahren“, gebe ich zu. „Fährst du mich?“
„Skandalös“, sagt sie.
Natürlich gibt es nur einen Helm und natürlich trage ich den. Es braucht etwas Zeit, bis ich meine Lockenmähne unter den Kopfschutz gestopft habe, was Charles geduldig abwartet. Wie sich herausstellt, kann der Fahrtwind ihrem raspelkurzen, hellgrau, fast weiß gefärbten Haar nichts anhaben. Ich bin bemüht, die Tätowierung an ihrem Hals nicht so genau zu betrachten. Sie erinnert mich an die Stammes-Tattoos der Maori. Es fühlt sich indiskret, fast intim an, ihren Hals aus dieser geringen Entfernung zu betrachten.
Charles bringt mich in Nullkommanichts zum Klinikum, braucht für die regulären sechs Minuten kaum vier. Dennoch habe ich keinen Moment an unserer Sicherheit gezweifelt.
„Danke, du fährst echt gut.“ Ich bin abgestiegen und reiche ihr den Helm.
„Ich weiß, Chief.“ Das kommt nicht großspurig daher. Sie zieht den Helm über und ist schon wieder davongebraust.
Schroff ist tot. Roger Merian ist erst seit wenigen Stunden auf freiem Fuß und schon ist Schroff tot. Was einem da durch den Kopf schießt, ist doch klar: Das kann kein Zufall sein! …