E-Book erschienen 09.06.2018
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Paperback erschienen 26.06.2018
ISBN 978-3752804515
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Seekoller – Eine Bodensee-Miami Krimikomödie

Logik wird überschätzt. Bauchgefühl auch.
Krimi, Kopfkino und gute Laune in Konstanz und Miami.

 

Ines Fox hat den Bodensee satt und freut sich auf den ersten Urlaub mit ihrem Dr. Frieder. Kurz vor der Abfahrt wirft ein skurriler Doppelmord ihre Pläne über den Haufen: Amerikanische Flitterwöchner, die aussehen wie Barbie und Ken, sitzen tot in einer Fahrradrikscha auf der Konstanzer Promenade. Natürlich kann Ines ihre Finger nicht von dem Fall lassen. Kurz entschlossen fliegt sie allein nach Miami, um zu ermitteln. Sie geht auf Tuchfühlung mit der Mafia und muss erkennen, wie gefährlich das ist. Wie kommt sie aus dem Schlamassel nur wieder heraus?

Der dritte Fall der eigenwilligen Hobby-Detektivin, locker und mit Wortwitz erzählt.

Ein humorvoller Krimi, der sich nicht immer wie ein Krimi anfühlt.
Die ideale Urlaubslektüre.

Das meinen Leser 6 Tage nach der Veröffentlichung

» Ein gelungener dritter Band, der humorvoll, leicht und unterhaltsam ist «

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» Die ideale Sommerlektüre «

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» ... mit jeder Menge Wortwitz versehen, der einfach richtig Spass macht «

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» … abgefahrene Ideen ... verblüffende Auflösung des Falls … «

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» Immer wieder spielt die Autorin ein wenig mit den Klischees, was mir sehr gut gefiel. «

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» überraschende Wendungen, skurrile Situationen, abgefahrene Ideen, gefährliche Situationen «

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» Bestens als Urlaubslektüre, aber auch geeignet für alle anderen Situationen im Leben, die nach guter Laune schreien! «

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» Sehr amüsant und stilsicher. «

Peter Bergmann, Krimiautor

» Ich habe fast die Nächte durchgemacht, bis ich durch war. «

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» atmosphärisch dicht, spannend, fesselnde Geschichte, sehr sympathische Protagonisten «

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» Die Autorin versteht ihr Handwerk und ich warte schon auf die Fortsetzung! «

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» erfrischende Lektüre, herrlich für entspannte Stunden «

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Krimi Profil

  • Easy going
  • Spannung
  • Gruselfaktor
  • Blutrünstig
  • Lokalkolorit
  • Humor
  • Erfrischung
  • Action
  • Nachdenklich
  • Romantik
Leseprobe

Kapitel 1

Eine Dünung hebt mich an, sanft, kaum merklich bringt sie mich dem Himmel ein Stückchen näher. In meinen Ohren gluckert es, ich spiele toter Mann in der Fassung tote Frau.
Oben im Blau fliegt eine Seeschwalbe. Von der Sonne blendend weiß ausgeleuchtet genießt sie ihre Freiheit. Sie dreht mehrmals das Köpfchen, beäugt mich und kommt zum Schluss: Unten im Blau schwimmt ein seltsames Tier, zu groß fürs Frühstück, unberechenbar, mal besser Abstand halten. Recht hat sie.
Kurz darauf verwandelt sich die Dünung in eine Brandung. Na, Brandung ist zu viel gesagt, schließlich ist das der Bodensee, von dem wir hier reden. Die Wellen, durch ein Schiff erzeugt, versetzen die Bodenseekiesel für kurze Zeit in Aufruhr. Stein rollt auf Stein und kommt wieder zur Ruhe. Bis zur nächsten Brandung.
Ich muss mich mehr bewegen. Die ideale Badetemperatur ist noch nicht erreicht, dafür ist es zu früh am Tag, zu früh in der Saison.
Frühsommer. Noch ist alles möglich und so kann ich mir vornehmen: Diesen Sommer werde ich nach allen Regeln der Kunst genießen. Ich werde ihn bis zum letzten Tropfen auspressen, bis er am Ende, wenn der Herbst kommt, alles gegeben haben wird. Schließlich gilt es, einiges nachzuholen. Für mich fanden Sommer und Herbst letztes Jahr nur ansatzweise statt. Mord, Cybercrime, Gerichtsverfahren, ein weiterer Mord und eine Genesungsphase nahmen mich in Beschlag. Es wird mir nicht noch einmal passieren, dass ich den Sommer versäume. Egal, was passieren wird, aber das nicht!

Übrigens, mein Name ist Ines Fox und ich wohne in Konstanz, der größten Kleinstadt am Bodensee. Ich bin Jungunternehmerin und führe Foxinet, ein Kleinunternehmen für Webdesign, das besser laufen könnte. Die letzten Monate habe ich mächtig rangeklotzt, konnte aber nicht alles wettmachen. Hobbyermittlungen in zwei Mordfällen waren nicht gut fürs Geschäft. Doch was will man machen, wenn die eigene Nase sich nicht aus Sachen heraushält, die sie nichts angehen?
Ja, ich habe ein Problem mit der Neugier. Man kann es getrost Einmischeritis nennen, denn es ist pathologisch. In Verbindung mit meinem eigenen Chaosstil entsteht ein explosives Gemisch. So stolpere ich in allerlei, wo ich eigentlich nicht hinwill. Das geht mir allerdings oft erst in der Rückschau auf. Etwas verpeilt? Vielleicht. Dabei bin ich durchaus eine vernunftbegabte Person. Schon meine Mathelehrerin meinte, ich sei gescheit. In der zweiten Klasse war das.
Bei Druck hingegen: Kurzschluss im Oberstübchen. Und wenn das Gehirn außer Gefecht gesetzt ist, handelt man aus dem Bauch heraus. Daran will ich arbeiten. Mehr Kontrolle darüber, was mein Geist Flatterhaftes fabriziert, und mehr Kontrolle über meinen Bauch. Vor allem mehr Kontrolle über meinen Bauch, denn auf den ist kein Verlass. Er hat fast nur Schokolade und Speck im Kopf, Schokolade am liebsten in Form von Schokokuchen, im Sommer tut es auch Schokoeis, idealerweise Schokokuchen mit Schokoeis.
Das mit dem Speck ist eine neuere Entwicklung. Ich will gewisse Dinge nicht mehr essen. Gesunde Ernährung ist dabei sekundär, in erster Linie zählt das Tierleid allerorts, bei dem ich mich weigere, mitzumachen. Denn kaufen heißt genau das: mitmachen.
Die Änderung in meiner Ernährung führt zu regen Diskussionen mit meinem Bauch. Unnötig zu sagen, dass er das anders sieht als ich und bei ihm der reine Genuss im Vordergrund steht. Zudem ist sachliche Argumentation nicht seine Stärke.
Aber lassen wir das. Vor dem Frühstück schon an Schokolade und Speck zu denken, ist nicht förderlich. Der Figur nicht, der gesunden Ernährung nicht, dem Tierwohl nicht und dem inneren Frieden zwischen mir und meinem Bauch auch nicht.

Ich tauche, begebe mich ganz ins kristallklare Nass, das so früh in der Saison noch keine Alge trübt. Als ich auftauche, erschrickt ein Haubentaucher in der Nähe und ich mit ihm. Er flattert mit Doppelantrieb davon, Flügel oben, Paddelfüße unten. Das ist mal eine Kompetenz, die ich gerne hätte: Übers Wasser wandeln. Bei mir hat sich nach der Schrecksekunde nur der Puls beschleunigt. Auch daran will ich arbeiten. Weniger schreckhaft.
Ich seufze und tauche wieder ab. Das kann ich gut, da gibt es nichts zu meckern. Geld verdienen lässt sich damit allerdings nicht, Morde aufklären auch nicht.

Nach der Lösung des letzten Falls kam mir das Arbeitsleben in der Internetbranche vergleichsweise ereignisarm vor. Spielte ich doch tatsächlich mit dem Gedanken, das Fachgebiet zu wechseln. Nur kurz, nur bis der vernünftige Teil meines Gehirns mir den Vogel zeigte. Habe ich womöglich Blut geleckt?
Diese und ähnlich interessante Fragen dürfen zurückstehen, denn ich muss dringend raus aus dem Wasser. Am Ufer suche ich nach Kleidung und Handtuch. Ich hätte schwören können, ich habe das Stoffhäuflein neben dieser Weide abgelegt. Da ist es nicht.
Unruhe steigt in mir auf. Wenn ich ehrlich bin, und warum sollte ich nicht, ist es bereits leichte Panik. Aber ich habe mir vorgenommen, alles weniger aufzubauschen. Vielleicht ändert das alleine schon etwas an meinem Ruf und an meinem Erregungszustand. Auch daran will ich arbeiten. Wobei, der eigene Ruf beurteilt sich schlecht. Und beim Erregungszustand muss ich feststellen, so mittendrin im Versuch, den Fall der abhandengekommenen Kleidungsstücke nüchtern zu betrachten: Da ändert sich nichts. Von außen betrachtet mag Panik übertrieben wirken, aber wer nackt badet, ist durchaus dazu berechtigt. Streng genommen halte ich Panik hier für schwer angebracht, alles andere wäre unvernünftig.
Glücklicherweise sind so früh am Morgen kaum Leute unterwegs. Außerdem habe ich einen Badeplatz gewählt, den Schilf und buschige Weiden leidlich vom Uferweg abschirmen. Soweit zum Hier und Jetzt. Mittelfristig allerdings habe ich ein Problem.
Erneut suche ich die Gegend ab, peile die Steine entlang, begucke das Umfeld. Habe ich mich in der Weide vertan? Sie sind sich doch alle recht ähnlich. Diesen Abschnitt des Sees kenne ich wie meine Westentasche – ein Vergleich, der splitterfasernackt vorgetragen etwas hinkt – andererseits traue ich meinem Realitätssinn manchmal nicht.
Es findet sich nichts. Kein Fitzelchen Stoff, nicht mal ein Feigenblatt. Die Panik wächst. Meine blühende Fantasie malt Szenarien, keines vermag Beruhigung beizutragen. Blank und bloß, wie Gott mich schuf, trotzdem gesellschaftlich nicht akzeptiert.
Wer zum Henker hat meine Klamotten geklaut?
„Kann ich helfen, junge Frau?“, erklingt eine Knödelstimme, die ich beinahe nicht erkannt hätte, weil er sie verstellt hat.
Mir plumpst ein überdimensionaler Bodenseekiesel vom Herzen. Als der Tathergang sich offenbart, brodelt mein Temperament hoch, möchte etwas nach ihm werfen. Doch trage ich nichts bei mir und Kiesel zu schleudern wäre selbst für mich überzogen.
Stattdessen schieße ich kreischend auf den zu, der sich da aus dem Schilf schält. „Du!“, brülle ich lachend. Ich wähnte ihn mit den Hunden Richtung Bäcker unterwegs, will heißen weit weg von hier, weit weg von mir.
„Wollte, dass du dich nackt auf mich stürzt“, lacht Dr. Frieder, zeigt sein gewinnendes Grinsen unter funkelnden blauen Augen und Blondschopf, neigt leicht den Kopf und breitet die Arme aus. Er hier hat so was von Spaß an seinem gelungenen Streich.
Rechts und links von ihm wuseln mein Hund Santo und Dr. Frieders Dalmatinerdame Fila aus den Halmen. Erstaunlich, dass mein blonder Wuschel und die braun Getupfte sich ins Komplott verwickeln ließen, ohne es durch Rascheln oder Winseln zu enttarnen.
Wie so oft: Egal was Dr. Frieder anstellt, ich kann ihm nicht lange böse sein. Und ich muss zugeben, er hat mich drangekriegt. Hätte mir gleich komisch vorkommen müssen, als er angeboten hat, das Schwimmen gegen einen Besuch beim Bäcker einzutauschen. Das schreit nach Rache. Ich mache eine Gedankennotiz, dass die fürchterlich ausfallen muss.

Nachdem ich meine rote Mähne ausgewrungen, mich leidlich trockengelegt und in ausgefranste Jeansshorts samt grüner Bluse gepackt habe, schlendern wir am Seeufer entlang zurück nach Hause. Die Sonne wärmt uns den Rücken und bügelt meine Gänsehaut. Santo und Fila jagen einander in und aus dem Wasser und begrüßen Hundefreunde.
Die Krönung dieses Seeabschnitts ist die Schmugglerbucht mit ihren alten Bäumen und überhängenden Ästen. Die Ufermauer bröckelt morbide, ein Baum ist abgerutscht und dient den Enten als Aussichtsplattform bei der Morgentoilette.
Im Anschluss spazieren wir am Yachthafen vorbei und die Seestraße entlang. Die Konstanzer Flaniermeile präsentiert sich, wie es sich gehört: zivilisiert, geteert, mit dressierten Platanen, jede in ihrem Separee von zweimal drei Rasenmetern. Fußgänger und Radler sind im Eiltempo unterwegs zum Ernst des Lebens.

Ich wohne in einer Nebenstraße hinter der Seestraße, fußläufig zur Altstadt, fußläufig zum See und damit für meine Begriffe ideal.
Zu Hause angekommen brummelt mein Bauch: ‚Mönsch, keine Croissants. Die hat er uns doch aber versprochen‘.
Ich setze Kaffee auf. Da hat mein Bauch ausnahmsweise Mal recht. Dr. Frieder war es wichtiger, mich reinzulegen, als für ein Genussfrühstück zu sorgen. Eine Untat.
„Müsli mit dem Rest Erdbeeren?“, schlägt Dr. Frieder vor.
Ich nicke. Nichts weiter im Kühlschrank. Ich hatte gehofft, den Tag ohne vernunftgesteuerte Ernährung zu eröffnen. Wieder nichts. Es wird einem aber auch nicht leicht gemacht, in der heutigen Spaßgesellschaft.
„Du weißt schon, dass du das wiedergutmachen musst?“, teile ich Dr. Frieder mit gespielt böser Miene mit. Mein Zeigefinger droht ihn aufzupiksen.
Er grinst breit und zwinkert. „Oha!“ Das klingt schwer norddeutsch. Dr. Frieder könnte kaum aus einem entfernteren Zipfel Deutschlands kommen. Geboren auf Amrum, Gymnasium auf Föhr, Medizinstudium in Hamburg. Das sorgt für Kontrast zu Südbaden und seinen Bewohnern inklusive mir Bodenseegeschöpf. Nicht nur im Kommunikationsstil, auch in der Grundhaltung konzentriert sich mein Norddeutscher aufs Wesentliche und besticht durch Tiefenentspannung in jeder Lage. Der Richtige für mich kapriziöses Ding, wie ich zugeben muss. Es gibt nicht viele, die es auf Dauer mit mir aushalten.
Mein Ex David konnte es nicht. Wobei, das zeichnet ein verzerrtes Bild, denn ich konnte es auch nicht mit ihm. Also war es beidseitig. Und das ist gut so. David hat mittlerweile eine Stelle beim Landeskriminalamt in Stuttgart angetreten und schrammt nur noch gelegentlich an meinem Leben vorbei.
Was Dr. Frieder angeht, so hat er den ursprünglichen Plan, eine fünfjährige Facharztausbildung zum Rechtsmediziner in Freiburg zu beginnen, um ein Jahr verschoben. Dr. Frieder betont wiederholt, es sei nur verschoben. Vermutlich will er, dass ich nach Ende des Jahres nicht enttäuscht bin, wenn wir doch noch in einer Fernbeziehung landen. Im kommenden Herbst ist das.
Im Zuge des letzten Falles wurde die Leitung der Pathologie im Klinikum Konstanz frei, der ehemalige Leiter rechtskräftig verurteilt. Er sitzt ein, schuldig der Mithilfe zum Mord. Die Stelle wurde neu besetzt. Mit einer Koryphäe, wie Dr. Frieder meint, von der er viel lernen könne.
Dr. Frieder ist kein ausgebildeter Pathologe, hat die Tätigkeit lediglich als Station zum Endziel Rechtsmedizin gebraucht und tituliert sich gerne als Azubi. Obwohl die Tätigkeit eines Pathologen sich deutlich von der eines Rechtsmediziners unterscheide, sei es für ein Jahr in Ordnung. Außerdem sei es so schlecht nicht, in Konstanz und bei mir, und er wäre schon gespannt, was mir alles einfiele, um ihm den verlängerten Aufenthalt zu versüßen. Eine Herausforderung, die ich gerne annehme.
Ich hege den Verdacht, dass es keine rein berufliche Wissbegierde ist, die ihn in Konstanz hält. Nach den Wirren der letzten Fälle wollte er sichergehen, dass ich wieder auf die Beine komme. Darüber gesprochen haben wir wenig. Gar nicht, eigentlich.
Es irritiert manchen, dass ich den Vornamen meines Freundes nicht benutze. Ich sage einfach gern ‚Dr. Frieder‘. Noch lieber sage ich, ‚Du, Dr. Frieder?‘ Marc, ja nicht schlecht, davon gibt es einige. Mein Dr. Frieder aber ist einzigartig.

Meinen heiligen Morgenkaffee in Händen hocke ich, Beine angezogen, auf einem windschiefen Gartenstuhl. Er steht auf dem Sitzplatz im Hof hinter dem Altbau, in dessen Erdgeschoss ich hause. Dr. Frieder balanciert zwei Müslischüsseln auf einem Tablett aus der Küche nach draußen. Ein gehäufter Löffel Kakao hat das Frühstück aufgewertet, nun macht es Anleihen bei einem Erdbeerschokokuchen. Natürlich fehlt Schlagsahne.
So hat jeder seine Vorlieben. Dr. Frieder schneidet gerne Leichen auf. Das kommt jetzt seltsam rüber. Tatsächlich halte ich Pathologie und Rechtsmedizin für weniger gruselig, als man meinen könnte. Nur dabei sein möchte ich nicht, auch nicht in der Nähe. Vorstellen möchte ich ihn mir dabei auch nicht.
„Wann fahren wir los?“, frage ich auf beiden Backen kauend.
„Morgen.“
„Ich dachte heute? Ich wollte nur die Uhrzeit wissen.“
„Muss noch was erledigen.“
Der erste Urlaubstag. Seit Langem. Seit Monaten des ununterbrochenen Arbeitens, der fehlenden Work-Life-Balance, der müden Augen, der Nackenverspannungen und des übermäßigen Kaffeekonsums.
Ich kneife die Augen zusammen und starre ihn prüfend an.
„Morgen“, wiederholt er.
„Okay“, sage ich gedehnt.
Mehr wird nicht aus ihm herauszuholen sein, so meine Erkenntnis der letzten Monate. Dieser Nordfriese ist ein Fels in der Brandung, selbst wenn ich die Brandung bin.
„Unter keinen Umständen gehe ich heute ins Büro. Urlaub geht auch alleine. Urlaub geht auch hier“, sage ich im Brustton der Überzeugung und bekräftige das Gesagte mit wiederholtem Kopfnicken. „Morgen dann aber ganz früh. Bei Sonnenaufgang!“
Er nickt und lächelt.

 

Kapitel 2

Ein Tag Zwangsurlaub am Bodensee. Ich könnte es schlechter treffen. Die Sonne lacht, eine Brise mit Blütenduft streicht um meine Nase. Ich bin frisch gewässert, habe ein wohlgenährtes Bäuchlein und die Aussicht auf einen Tag für mich.
Dr. Frieder murmelt etwas von Pathologie und Bruchbude und schlendert von dannen. Dr. Frieder eilt nicht, schon gar nicht hetzt er. Schlendern ist die Gangart, die seine Fortbewegungsweise am besten beschreibt. Dabei vergräbt er die Hände in den Vordertaschen seiner Jeans.

Ich lungere auf der Terrasse herum. Die Hunde liegen platt auf der Seite und lassen sich den Pelz trocknen. Ich nehme mir ein Beispiel, lege die Beine auf den Terrassentisch und schließe die Augen.
Urlaub.
Wie kann etwas so Schönes einen solch hässlichen Namen haben? Urlaub. Klingt eher nach uraltem Herbst, nach modernden Blättern.
Ferien.
Schon besser. Das klingt nach Feiern, nach Freiheit, nach Fest.
„Fe-ri-en!“, wispere ich. Santo, mein blonder Wuschel, hebt den Kopf und schaut mich fragend an. Ich lächle ihm zu.
Wie das so ist, wenn ein überarbeiteter Geist Entspannung verordnet bekommt: Er kann nicht loslassen. Nicht auf Anhieb. Aufgaben, die zurückstehen mussten, tauchen auf, spielen sich in den Vordergrund, wedeln mit der Fahne des schlechten Gewissens.
Ich könnte das Bad putzen. Dann freue ich mich bei der Rückkehr. Ich könnte Mama fragen, ob sie mit mir Mittagessen geht. In letzter Zeit habe ich sie vernachlässigt, wie ich es stets tue, wenn ich bis über beide Ohren in Arbeit festsitze. Oder spaziere ich doch ins Büro, um nach dem Rechten zu sehen? Nur kurz?
Fabelhaft, mein Gehirn. Bevor ich Gefahr laufe, zu tun, was dem Geist der Ferien widerspricht, schaltet es das Licht aus. Ich schlafe ein und träume wirres Zeug, wie meist, wenn ich in der Sonne wegdöse. Durch den Traum schießt der Gedanke, dass ich in der Sonne sitze, was mich aufschreckt, hellwach. Keine zehn Minuten kann meine weiße Haut ungeschützt in freier Wildbahn überleben, es sei denn, die freie Wildbahn wäre ein Erdmännchenbau. Also nach drinnen ins Bad hechten und mit Lichtschutzfaktor 50 gegen UV-Strahlen imprägnieren.

Kräftig eingeschmiert stehe ich im Flur meiner kleinen Altbauwohnung: zwei Zimmer, Küche, Bad, Miniterrasse, Minigärtchen.
Nachdem mir letzten Herbst eine Horde aufgebrachter Konstanzer Bürger Fenster, Türen und das Mobiliar kurz und klein schlugen, ist alles nigelnagelneu, der Versicherung und dem Vermieter seien Dank. Ein paar Anschaffungen wie der Fernseher warten auf höheren Pegelstand auf meinem Konto. Derweil versuche ich, mir den sanierten Zustand meiner Wohnung schönzureden. Man mag es glauben oder nicht, der unrenovierte Zustand war mir lieber – also der, bevor alles kurz und klein gehauen wurde.
Und jetzt? Gepackt ist schon. Ich bin versucht, meine Mails zu checken, habe mir aber geschworen, es in den Ferien nur einmal am Abend zu tun, der besseren Erholung wegen. Den Vorsatz will ich nicht gleich am ersten Tag kippen.
Ratlos stehe ich im Flur. Mir will nicht einfallen, was ich tun könnte. Dabei würde ich gerne so vieles tun. Es gibt Gedankenlisten, unglaublich lange Gedankenlisten, die ich während der letzten arbeitsamen Monate angefertigt habe. Es kann doch nicht so schwer sein, sich einen Tag zu vergnügen, wenn auch zwangsverordnet?
„Wir gehen raus“, melde ich Santo und Fila, die mich seit einigen Minuten erwartungsvoll anblicken. Die Entscheidung trifft auf Gegenliebe. In Nullkommanichts sind wir auf der Seestraße, die Hunde mit den Nasen an einem Baum, ich mit dem Allerwertesten auf einer Bank. Ich atme bewusst ein, breite die Arme auf der Lehne aus und lasse meinen Blick über den Konstanzer Trichter schweifen. Der Bodensee glitzert mir entgegen. Die Sonnenbrille, die nötig wäre, habe ich vergessen. Macht nichts. Weniger ist mehr in den Ferien.

Den See kenne ich schon ein paar Tägchen. Er zeigt immer neue Farb- und Lichtspiele, nichts wiederholt sich, jeder Moment ist einzigartig, über alle Tages- und Jahreszeiten, selbst über Jahrzehnte hinweg. Normalerweise werde ich nicht müde, es zu predigen, einem Mantra gleich, ob es jemand hören will oder nicht. Jetzt, in diesem Moment, glitzert der Konstanzer Trichter fröhlich vor sich hin, dass es eine wahre Wonne ist. Nein, dass es eine wahre Wonne sein müsste. Für mich sieht er aus, wie vor fünf Minuten, und – schlimmer – wie gestern, vorgestern und – noch schlimmer – wie vor einem Jahr und dem Jahr davor. Uah, als würde ich in einer Zeitschleife festhängen! Gut, da ist ein Schiffchen von rechts nach links getuckert. Gut, der Schwanenbürzel, der eben noch gen Himmel zeigte, ist zurück in der Waagrechten. Aber abgesehen davon ist nichts passiert. Nichts, das mein Interesse weckt, mich in Verzückung versetzt, amüsiert oder fesselt.
Ich kenne mich selbst nicht mehr. Verblüfft stelle ich fest: Der See langweilt mich. Konstanz ödet mich an. Ja so was! Das ist neu. Ich wusste gar nicht, wie sich das anfühlt. Habe ich eine Art Lagerkoller? Einen Seekoller?
Santo und Fila haben genug geschnüffelt und vor mir Platz genommen. Sind auch sie der Seestraßengerüche überdrüssig, haben die Nase voll davon? Jeden Tag die gleichen Aromen der gleichen Artgenossen? Zwischen den Ohren aufgestellt tragen Santo und Fila einen Schriftzug: ‚Öd!‘ Darunter als Subtext: ‚Und jetzt? Was machen wir jetzt?‘
„Ihr könnt einem leidtun“, flüstere ich. „So ein schöner Ort und ihr langweilt euch. Andere kommen extra her. Gebt euch mal ein bisschen Mühe!“

„Sie habe ich ja lange nicht mehr gesehen“, spricht mich eine zierliche ältere Dame an. Sie trägt eine zerknitterte Brötchentüte und ein strahlendes Lächeln, das ihre eigenen Falten an einigen Stellen zusammenschiebt, an anderen glättet.
„Rosa Strickjäckchen!“, rufe ich und springe auf. Unverkennbar freue ich mich, sie zu sehen. Bei Leutchen ihres Alters ist man froh, wenn sie noch sind.
„Wie meinen?“, wundert sie sich.
Das Blut steigt mir in die Wangen. Bei all unseren Begegnungen auf der Seestraße trug sie eine rosa Strickjacke. So auch jetzt. In Folge war es mein Spitzname für sie. Selbstredend weiß sie davon nichts.
Zeit, um meine neue Strategie zu testen, nämlich Fragen, die komplizierte Antworten zur Folge haben, einfach zu übergehen. Wenn es klappt, dann nächstes Mal für Fortgeschrittene, will heißen, ohne rot zu werden.
„Ja, lange nicht gesehen. Wie geht es Ihnen?“
„Ich füttere die Enten.“
Fährt sie die gleiche Strategie?
„Prima“, sage ich.
„Ein schönes Paar.“ Sie deutet auf Santo und Fila.
Ich nicke. „Was würden Sie machen, wenn Sie jetzt sofort alles tun könnten, was Sie wollten?“, frage ich spontan.
„Eis essen“, kommt wie aus der Pistole geschossen mit Lachfältchen um die Augen. Ihre knubbeligen Hände zeigen die Größe, die ihr vorschwebt: Monstergröße.
Mein Bauch jubelt: ‚Die Omi hat ja wohl mal voll den Durchblick. Der beste Vorschlag des Tages.‘
„Gehen wir Eis essen. Ich lade ein. Mein erster Ferientag“, sage ich.
Rosa Strickjäckchen leckt sich begeistert über die Lippen.

Wenig später stehen wir in der Schlange der Eisdiele Pampanin, die sich um diese vormittägliche Stunde überschaubar zeigt, aus uns beiden bestehend.
„Bestellen Sie, was Sie wollen“, ermuntere ich.
Als das Persönchen sechs Kugeln Eis bestellt – wobei sie dem Jungen hinter der Theke zweimal einschärft, dass es von enormer Wichtigkeit sei, die Reihenfolge der Sorten einzuhalten, sonst leide der Genuss, sonst könne man es grad wegwerfen – blinkt ein zartes Warnlicht hinter meinem rechten Ohr.
„Sie haben nicht etwa Diabetes, Bluthochdruck oder Ähnliches, wofür das da“, ich deute auf das Monstereis, das sie mit beiden Händen umfasst, „schädlich wäre?“
„Ach i wo“, sagt sie vergnügt und beginnt zu lecken. „Pumperlgesund, nur vergesslich.“
„Aha.“ Ich hege leise Zweifel. Kann man seine Zuckerkrankheit vergessen? Ich schicke ein Stoßgebet, dass meine Ferienspontanität nicht nach hinten losgehen möge.
Dann widme ich mich meinem eigenen Eis. Natürlich muss ich bei der Anzahl der Kugeln mithalten. Das Ömchen ist die Hälfte von mir, außer beim Alter, da dürfte sie dreimal so viel sein. Wie sähe das denn aus, wenn ich mit zwei Standardkugeln neben ihr spazieren würde? Eben.
Da rosa Strickjäckchen bei Sortenwahl und Sortenreihenfolge die Expertin raushängt, habe ich mir das Gleiche bestellt. Ich konsumiere in umgekehrter Reihenfolge aus der Eistüte: Schoko, Pistazie, Schoko, Vanille, Schoko, Kirsch. Die Komposition ist exquisit.
Während sie in ansehnlicher Geschwindigkeit vor sich hin schleckt und selig aus dem rosa Strickjäckchen guckt, schwächle ich bei Kugel Nummer drei. Da habe ich mich wohl etwas übernommen. Ja, im Nachhinein wundert das wenig, das Frühstück ist nicht mal eine Stunde her. Ich drossle das Schlecktempo und konzentriere mich auf Schadensbegrenzung, lecke nur ab, was herunterläuft.
„Sie sind zu langsam“, kommt prompt von der Expertin.
„Hatte ein mächtiges Frühstück.“
„Ja und?“ Sie schüttelt mit überzogen kritischer Miene den Kopf. „Die Jugend von heute! Nicht mal Eis essen können die richtig.“
„Wie häufig und wo üben Sie denn Eis essen?“
„Wie das schmeckt!“, seufzt sie und verdreht genüsslich die Augen.
„Ich heiße übrigens Ines. Wie heißen Sie denn?“
Rosa Strickjäckchen sieht mich mit gerunzelter Stirn an, denkt nach. Das Warnlicht hinter meinem rechten Ohr blinkt wieder, das hinter dem linken gesellt sich dazu. Ich halte den Atem an.
Sie grinst breit. „Ha! Sie haben Angst, ich hätte meinen Namen vergessen. Reingelegt!“
Ich atme aus und lache erleichtert auf.
„Habe ich auch“, sagt sie grinsend.
Schlagartig werde ich wieder ernst.
„Und noch mal reingelegt! Sie sind aber leicht aufs Glatteis zu führen.“
Ich nicke bestätigend und seufze. „Heute ist Alle-legen-Ines-rein-Tag.“
„Ach so, na dann. Ich heiße Käthe, eigentlich Katharina, früher Katrinchen, ab nächstem Jahr Katinka. Das klingt so schön exotisch. Können Sie sich schon mal vormerken.“
„Mach ich.“
„Ich bin erst dreiundneunzig“, plappert sie, „und möchte hunderteins werden. Wenn ich nur hundert werde, habe ich Pech gehabt.“ Aus ihren Augen sprüht der Schalk. Sie hat sich bis Pistazie Übergang Schoko geschleckt und knabbert die Eiswaffel rundherum ab. Da steckt System dahinter. Als wäre fachmännisch Eis zu essen ein Ausbildungsberuf. Sie bezwingt ihre Monstertüte lange vor mir. Nun schielt sie, ich möchte fast sagen lüstern, nach der meinen. Santos Hundeblick ist ein Dreck dagegen.

Mein Handy klingelt, was rosa Strickjäckchen alias Käthe gelegen kommt. Ich drücke ihr mein Eis in die Hand, um den Anruf trotz der Hundeleinen annehmen zu können.
„Juchhu!“, rufe ich Dr. Frieder vergnügt entgegen. Das muss der Zuckerrausch sein. Erkenntnis des Tages: Es gibt nichts Besseres, als die Ferien mit einem Eis einzuläuten.
„Ferien am Bodensee?“, fragt er und sein Lächeln schwingt mit durch den Äther.
„Wie viele Kugeln Eis kannst du auf einmal essen?“
„Sieben.“
„Käthes aktueller Stand“, ich werfe ihr einen Blick zu, den sie zwinkernd erwidert, „liegt bei siebeneinhalb. Ziel sind achteinhalb.“
„Wer ist Käthe?“
„Rosa Strickjäckchen.“
„Is nich wahr.“
Ein kurzes Schweigen.
„Der Grund deines Anrufs?“, helfe ich ihm auf die Sprünge.
„Hab ich schon gesagt. Was hältst du von Urlaub am Bodensee?“
„Wieso?“
„Zwei Tote. Todesursache ungeklärt.“
„Hui, zwei gleich?“ Ich bemerke ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. Das kommt nicht vom Eis. Es ähnelt den Schmetterlingen, wenn man frisch verliebt ist. Spannung, Aufregung und etwas Angst vor dem Ungewissen. Ja, ich gebe zu, das ist ein bisschen schräg. „Wer, wieso, warum?“, frage ich und winke der Nordsee in Gedanken zu, sie müsse noch eine Weile ohne uns an Amrums Kniepsand branden.
„Arthur hat angerufen. Wenn du dich beeilst, kannst du aus der Ferne zusehen. Ich muss an den Gondelhafen.“ Er betont ‚aus der Ferne‘ deutlich über Gebühr.
„Du darfst die erste Leichenschau machen?“
„So sieht‘s aus.“